Kniazia und die Pflege: eine Win – Win – Situation!
Mit viel Power und ihrer knallroten, extrem sportlichen Leeze kommt eine starke Frau zu unserer Verabredung angerauscht. Ein Gewitter ist angekündigt, und ich schlage vor, besser in meine „Penatenvilla“ (kleines Gartenhaus) zu gehen. Sie entgegnet bestimmt: „Wir setzen uns erst einmal an das gelbe Tischchen dort und gehen hinein, wenn es blitzt und donnert.“ Fehlt nur noch ein „Basta!“. Die ganze Begrüßung macht dem Projekt „Starke Pflege – Starke Typen“ bereits alle Ehre; wobei ich nicht wirklich ahne, was mich in den nächsten zwei Stunden erwartet.
Geboren 1987 in Posen (Polen), wächst sie neben einem Friedhof auf und verdient sich mit sechs Jahren erstmals bei Beerdigungen ein Taschengeld, das ihr die Mutter aber nicht allein gönnt. Wenig später sieht sie den Film „Titanic“ und ist über das Ende verärgert. Ihr Entschluss steht fest: Ich schreibe das Buch neu! Kate Winslet sowie Leonardo di Caprio, die das Liebespaar im Film spielen, werden bei ihr überleben. Das Buch verschafft ihr gute Zusatznoten bei ihrer begeisterten Lehrerin, während die Mitschülerinnen eher neidisch reagieren. Kniazia beginnt regelmäßig Tagebuch zu schreiben und gewinnt Preise mit einer Theatergruppe, wo ihr Talent als Schauspielerin offensichtlich wird. Die Vorliebe für das absurde Theater führt sie mit 16 Jahren zum Theater „Zamek“ (ein Schloss in Polen bei Lancut), wo diese Richtung im Vordergrund steht. Es ist nur konsequent, dass sie, nachdem sie mit ihrem Freund nach Deutschland kam, beginnt, Theaterwissenschaft in Bochum zu studieren. Zwei Auslandssemester schließen sich an und nichts scheint der Entwicklung einer tollen Karriere im Weg zu stehen. Sie liest das Buch „Witwe für ein Jahr“ von John Irving und lässt sich davon zum Squash-Spielen inspirieren. Natürlich betreibt sie diesen Sport sogleich mit vollem Einsatz, es kommen Joggen, Tabata-Workout und Spinning hinzu. Die neu entfachte Liebe zum Sport führt dazu, dass sie Fitness- und Gesundheitstrainerin wird. In dieser Zeit verlangt ihr Partner von ihr, sich entweder für die Gründung einer Familie oder für die Schauspielkarriere zu entscheiden. Sie gibt dem Wunsch nach und bekommt kurz hintereinander zwei Kinder (heute vier und sechs Jahre alt). Das Theater muss warten und dann kommt Corona. Der Lockdown vernichtet die Firma „Trommeltheater“ des Mannes und zu den finanziellen Problemen kommen Beziehungsprobleme.
Die sich anbahnende Karriere ist gestoppt, scheint endgültig beerdigt zu sein. Knizia nimmt kleine Jobs in der Pflege an und erinnert sich wieder an ihre heißgeliebte Uroma. Schon mit zwölf Jahren pflegte sie in Polen diese alte Dame. Ihr Onkel konnte es nicht und die aufkommende Demenz der Uroma verstärkte die Herausforderung noch. Knizia reichte ihr täglich das Essen an und badete sie. Sie konnte der geliebten Uroma eben nicht vergessen, was diese früher alles für sie getan hatte. Ich spüre, dass ihr Entschluss zu einer Pflegeausbildung eine ganz entscheidende Wurzel in dieser frühen Phase hat. Die bis jetzt so quirlig wirkende Frau erzählt nachdenklich von einem prägenden Ereignis: Nachdem die Uroma gewaschen und versorgt war, ging Kniazia eines Tages mit ihrem Freund zu einer Lesung, auf die sie sich sehr gefreut hatte. Ohne ersichtlichen Grund begann sie dort mit einem Mal zu weinen. Auf dem Rückweg sah sie schon von weitem eine Kerze, die bei der Uroma im Fenster ihrer Wohnung brannte. Tatsächlich hatte ihre Mutter diese angesteckt, denn die Uroma war genau in dem Augenblick gestorben, als Eva bei der Lesung so plötzlich zu weinen begann.
Ihr Hang zur Schauspielerei, zum absurden Theater, sowie ihr Wunsch, das Studium doch noch zu beenden, all das scheint aber bei ihr lebendig geblieben zu sein. Immer wieder erlebe ich, dass sie von den vielen Dingen schwärmt, die sie interessieren: „Ich habe den Kopf voll mit Ideen, tausend Sachen könnte ich machen“, doch dann verwandelt sich ihre Begeisterung und sie schaut fast melancholisch drein: „Der rote Faden fehlt mir bei all meinen Träumen und Interessen.“ Jetzt lege ich Protest ein: „Bei unserem letzten Treffen mit den Verantwortlichen des Projekts ,Starke Pflege, Starke Typen‘ in der Johanniter-Akademie, da bilde ich mir ein ihn gesehen zu haben. Sie haben begeistert von Ihrem ,Waschlappenprojekt‘ erzählt. Wenn Sie wirklich absurdes Pflegetheater im Klarastift realisieren möchten, dann ist auch noch mehr denkbar. Die Pflege würde doch zu 100% von einem solchen Projekt profitieren und Sie könnten Ihre Passion endlich leben; außerdem wäre der rote Faden geknüpft und eine Win-Win-Situation entstanden.“ Kniazias Gesicht zeigt nun eine ganz andere Botschaft als noch vor wenigen Minuten, und sie beginnt zu sprudeln: „Absurdes Theater in der Pflege, das könnte bedeuten: Die Waschlappen beginnen zu streiken, denn sie wurden zu heiß gewaschen und schlecht behandelt. Sie halten Kriegsrat und entschließen sich zur Flucht aus dem Altenheim. Die Pflegedienstleitung stellt jetzt Bodyguards ein, um das und damit den endgültigen Pflegenotstand zu verhindern.“ Da unterbricht sie sich selbst, schaut mich an und ich sehe die Leidenschaft in ihren Augen, als sie verkündet: „Den Ausgang werde ich Ihnen jetzt noch nicht verraten!“ Ich genieße es, wie entschlossen und klar sie jetzt wirkt und sinniere schon über einen möglichen Titel für das Theaterstück.
Text: Norbert Nientiedt
Fotos: Uwe Jesiorkowski
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