„Yes, I can!“ - Jede Hürde hat mich stärker gemacht
Ich sitze diesem freundlichen jungen Mann bei einer Tasse Kaffee und bestem Wetter draußen an meinem gelben Tischchen gegenüber. Nichts deutet daraufhin, was ich gleich von ihm erfahren werde.
In den Slums von Bihar (Indien) geboren, stirbt Joy-Samuels Mutter bereits kurz nach seiner Geburt an Leukämie. Der Vater ist völlig überfordert und gibt ihn in die Hände der Missionarinnen der Nächstenliebe, dem von Mutter Theresa gegründeten Orden. Über eine Adoptionsvermittlung kommt er 1996 zunächst in ein Kinderheim in Neu-Delhi, hier holen ihn seine Adoptiveltern ab. Bei ihnen wächst er in Nottuln im Münsterland auf. Joy-Samuel Schmedt bekommt zwar jede nötige Unterstützung, erfährt aber dennoch häufig erbarmungsloses Mobbing und Rassismus. Er interessiert sich trotz allem schon früh für andere Menschen und möchte ihnen helfen, so wie auch ihm geholfen wurde. Bei verschiedenen Praktika erlebt er dann, wie Menschen ausgenutzt und ungerecht behandelt werden. Joy-Samuel Schmedt wird dünnhäutig und sensibel, auch depressive und sogar suizidale Gedanken tauchen auf. Seinen Kampf gegen die Hürden an der Schule verwandelt er schließlich genau in dem Jahr in Stärke, in dem Barack Obama erster schwarzer Präsident in den USA wird. Auf seinen Wahlzetteln zum Schulsprecher steht in Anlehnung an dessen Motto: „Yes, I can!“ Seine Eltern und ihre Verwandten unterstützen ihn dabei und er stellt fest, was alles möglich ist, wenn man sich engagiert. Die gewonnene Sensibilität und Stärke geben ihm Kraft. Er setzt sich ein, wenn Menschen in seiner Umgebung ähnliche Erfahrungen machen müssen.
Sein Wunsch, in der Pflege aktiv und Menschen nah zu sein, professionell zu helfen, wird immer klarer und er beginnt eine Ausbildung zum Pflegefachmann. Schockierende Berichte über untragbare Zustände in deutschen Pflegeheimen motivieren ihn nur noch mehr. Ungerechtigkeiten und Ausbeutung spricht er offen an und bekämpft sie im Team. Allein geht es in der Pflege nicht, das ist ihm rasch klar geworden. Den Frust hatte er früher regelrecht in sich „hineingefressen“: „Gerade Auszubildende haben oft wenig Geld und sind schnell in Gefahr, sich ungesund zu ernähren.“ Nun aber hat Joy-Samuel Schmedt 40 Kilo abgenommen, betreibt Sport und versucht als Food-Blogger Menschen zu helfen, die Ähnliches erlebt haben. „Überall liegt etwas Süßes und die Zeitnot verführt zu Fast Food. Meine Rezepte haben schon manchen Kolleg*innen geholfen.“ Durch seine Hobbys Sport, Kochen und vor allem Musik hat er nicht nur sich selbst gestärkt. Im Pflegealltag bekommt er viele dankbare Rückmeldungen von älteren Damen und Herren, wenn er ihnen ihr Lieblingsgericht kocht oder sie mit seiner Gitarre, dem Piano und Liedern unterhält, die er ihnen vorsingt.
Ich habe heute viel zugehört und auf meine Frage, was sein sehnlichster Wunsch ist, antwortet er: „Ich möchte Menschen das geben, was mir gegeben wurde, damit ich mir selbst helfen konnte.“ Er macht eine kleine Pause und ergänzt deutlich nachdenklicher: „Und das, was man ihnen vorenthalten hat, denn ich sehe und spüre sofort, wenn jemand leidet, ungerecht behandelt oder ausgenutzt wird.“
„Joy-Samuel, ich habe in der letzten Stunde von all den Hürden gehört, die du angegangen bist, von den Stärken, die du entwickeln konntest. Ich freue mich, dass ich heute einen starken Typen kennenlernen durfte. Meine letzte Frage: Was macht dich wirklich glücklich?“ Er überlegt nicht lange, sondern verkündet mit ein wenig Stolz in seiner Stimme: „Wenn Menschen auf der Pflegestation sagen, dass ich ihnen sehr gut zuhöre!“
Text: Norbert Nientiedt
Fotos: Uwe Jesiorkowski
Views: 257